Sonntag, 22. März 2009

über einen abwesenden denkt man meist intensiver nach als über einen anwesenden.

"soziale internet-netzwerke wie facebook oder myspace machen einsam und krank. das behauptet der britische psychologe aric sigman in einem vor allem unter bloggern viel diskutierten text, erschienen in der frühlingsnummer der zeitschrift biologist. je mehr kommunikation über elektronische medien verlaufe, umso weniger zeit würden die menschen von angesicht zu angesicht miteinander verbringen, meint sigman. von 1987 bis heute sei die durchschnittliche zeit, die man in großbritannien täglich dem direkten zwischenmenschlichen umgang widme, von sechs auf zwei stunden gesunken. die nutzungsdauer elektronischer medien sei von knapp vier auf acht stunden pro tag gestiegen. so viel bloß noch virtuelle kommunikation mache einsam, einsamkeit wiederum schädige das immunsystem, begünstige den ausbruch von krebserkrankungen, beschleunige rheuma, diabetes und viel lebensbedrohliches mehr.
mich dagegen macht die ständige nähe von menschen krank. und nicht nur mich; der fortschritt kam in dem moment unter die menschheit, als der erste vorfahre gelegenheit fand, sich von seinem rudel zu entfernen und allein für sich nachzudenken. was ihm dabei half, waren seine medien, ein stein zum ritzen vielleicht, eine felswand, der sand als zeichenfläche. die abwesenheit von menschen ist eine große produktivkraft. über einen abwesenden denkt man meist intensiver nach als über einen anwesenden. viel wahrheit wurde erst in dem augenblick erfahren, als die menschen in den genuss der entfernung voneinander kamen und sich die mühe machen mussten, mittels einbildung, brief, telefon, e-mail einander näher zu kommen.
wir haben uns an kommunikation über distanzen gewöhnt. ein mensch, so, wie er in gänze vor einem steht, stellt eine parameterhäufung dar: zu viele sinnliche eindrücke auf einmal. sie führen dazu, dass sich der wahrnehmungsapparat vorsichtshalber herunterdimmt. deshalb hinterlässt ein gegenüber am telefon oft einen stärkeren eindruck als durch seine totale gegenwart; sobald er wieder nur stimme ist, widmet man ihm mehr aufmerksamkeit.
für den psychologen sigman ist es bereits ein krisensymptom, dass sich immer mehr familienmitglieder in ihren einzelzimmern aufhalten. als ob das dumpfe brüten der bäuerlichen großfamilie in der einzigen warmen stube ein wahres glück gewesen sei. die entwicklung der bürgerlichen gesellschaft geht einher mit dem anwachsen von einsamkeit. sie fördert die sehnsucht und fantasie, die brief- und schreibkultur, die malerei, die begabung, sich auszudrücken. so gerüstet, kann man unter die menschen gehen."
(berliner zeitung)

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