"Der Morgen danach.
Angst haben vor dem Morgen danach. Vor der Maske, vor der nur mühsam beherrschten Kunst der Verstellung, vor dem Normalen Angst haben, vor dem Frühstück mit fremden Gesichtern, vor dem Verzicht auf Dinge, Dinge die man gerne tun möchte, jetzt tun möchte und nicht darf- ein Brötchen schmieren zum Beispiel, Kaffee eingießen, fragen, wieviel Zucker möchtest du, fragen und dann für Immer die Zahl der Zuckerstücke wissen, damit etwas haben, etwas Greifbares haben, auch wenn es nur eine Zahl ist.- Und Angst haben vor dem Sich-teilen-müssen, vor dem Dingesagen, die man nicht sagen möchte, Angst haben, dass die Zeilen nicht mehr gesehen werden, jetzt im Tageslicht nicht mehr gesehen werden, die zwischen den Sätzen stehen, den banalen. - Und Angst haben vor dem Zuschlagen der Taxitür, dieses Zuschlagen als endgültig nehmen, es doppelbödig sehen, dem Geräusch nachlauschen, es hören wollen noch zwischen den Fahrgeräuschen des abfahrenden Autos, es wiederholen wollen, immer wieder, es hören wollen wie eine Platte, bei der der Saphir hängenbleibt. Es hören wollen, weil es das letzte Gemeinsame ist, das bleibt. -Und dann wegfahren müssen. Kilometer für Kilometer zwischen sich schieben, irgendwo ankommen, in einer fremden Stadt, durch diese Stadt laufen ohne Ziel, die Häuser hassen, weil es andere Häuser sind als gestern. Sie hassen, weil man sie gestern nicht wahrnahm, nichts wahrnahm überhaupt, nur den Schritten nachhorchte, den gemeinsamen, den Regen auf der Haut spürte, unter ihm hindurchlief, nur fühlte, dachte, aber nichts sah, keine Zeit hatte zu sehen. -
Und jetzt sehen muss, spüren muss, dass alles weh tut, die Straßen, die Leute, die Häuser. Dass sie weh tun, weil sie ungeschützt auftreffen mit ihren Geräuschen und Bildern. Ungeschützt, weil der Wattemantel, der mühsam geschneiderte, auch bisweilen erprobte, zerschlissen ist. Mit einem Male brüchig ist, nach einer Nacht, die Haut darunter noch brüchiger, fast aufgebraucht, nicht mehr da ist oder einfach zurückgelassen an einer Stelle, für die es keinen Namen gibt. - Und dann gehen müssen, ohne zu wissen, ob dies ein Boden ist, der trägt, Atmen müssen, ohne zuwissen, ob die Luft reicht. Denken, ohne zu glauben, dass da noch andere Gedanken sind als die, die gestern waren.- Und den Wunsch haben, aus dieser Stadt zu fleihen, einen Timetunnel zu haben nach gestern. Oder die Fähigkeit, Kilometer schrumpfen zu lassen, achtzig zu Null zu machen und dann nur die Hand auszustrecken zu brauchen, Gottvater zu sein und Adam zu erreichen, ihn zu berühren mit den Fingerspitzen, durch diese Berührung eine Öffnung zu haben, in sie einzudringen, in seinen Körper zu dringen, darin spazieren zu gehen, die Wärme des Blutes zu spüren, es pulsen zu sehen, wie am Ufer eines Flusses zu stehen und zu schauen, wie Blut fließt, wie Blut rauscht, träge und dunkelrot wie Barbera das eine, spritzig wie Lambrusco das andere. Und weiterwandern, in Hirnwindungen herumklettern, seinen Hypothalamus aufsuchen, den Satz abrufen, den einzigen Satz, der gilt. Den Satz- si me amas. Ihn abrufen, ihn springen sehen, von Synapse zu Synapse, seine Zeit abschätzen, bis er ankommt- Sekunden sind viel zu langsam-, gierig warten, bis er aufgesaugt werden kann, dieser Satz, ihn mitnehmen, ihn durch den Einstieg hinausschleusen und ihn mit sich schleppen in einem Sack auf dem Rücken.- Und Kilometer wieder zu Kilometer werden lassen, Null zu achtzig machen, wieder am anderen Ort sein, jetzt anders hindurchgehen als zuvor, den Satz auf ein Transparent schreiben, ihn entgegenschleudern allen, die ihn hören wollen oder auch nicht.
Ihn den Häusern, den Autos, Straßen entgegenhalten wie einen Abwehrzauber. Und dann immun sein gegen brüchige Wattemäntel, gegen hautlose Zeiten und glauben, dass der Boden jetzt trägt und die Luft reicht für immer.
Das alles wünschen und zugleich wissen, dass es nichts ist als eine Fata Morgana, dass es nicht mehr sein kann als das. Dass es Timetunnel nicht gibt, Kilometer nicht schrumpfen, dass es nichts gibt, damit Häuser und Autos und Straßen nicht schmerzen. Dass die Zahl der Zuckerstücke auf immer unbekannt bleiben wird, dass man Sätze nie abrufen wird wie diesen- wenn du mich liebst- gefunden auf einer alten Bronzefibel, dem Staub der Jahrhunderte entrissen, für den Bruchteil von Ewigkeiten gelebt.- Dass es überhaupt nichts gibt als Zeit, viel Zeit, die wohldosiert zwischen nie genannte Zuckerstücke und hängengebliebene Transparente zu schieben ist. So lange, bis kein Platz mehr ist für schmerzende Straßen und Autos und Häuser, bis alles prall und voll ist mit zugestopfter Zeit, alle Nahtstellen und überwuchert, von Moos überwuchert eines Tages. - Und schließlich und endlich glauben machen, es habe nie einen Morgen gegeben.- Einen Morgen danach."
Und jetzt sehen muss, spüren muss, dass alles weh tut, die Straßen, die Leute, die Häuser. Dass sie weh tun, weil sie ungeschützt auftreffen mit ihren Geräuschen und Bildern. Ungeschützt, weil der Wattemantel, der mühsam geschneiderte, auch bisweilen erprobte, zerschlissen ist. Mit einem Male brüchig ist, nach einer Nacht, die Haut darunter noch brüchiger, fast aufgebraucht, nicht mehr da ist oder einfach zurückgelassen an einer Stelle, für die es keinen Namen gibt. - Und dann gehen müssen, ohne zu wissen, ob dies ein Boden ist, der trägt, Atmen müssen, ohne zuwissen, ob die Luft reicht. Denken, ohne zu glauben, dass da noch andere Gedanken sind als die, die gestern waren.- Und den Wunsch haben, aus dieser Stadt zu fleihen, einen Timetunnel zu haben nach gestern. Oder die Fähigkeit, Kilometer schrumpfen zu lassen, achtzig zu Null zu machen und dann nur die Hand auszustrecken zu brauchen, Gottvater zu sein und Adam zu erreichen, ihn zu berühren mit den Fingerspitzen, durch diese Berührung eine Öffnung zu haben, in sie einzudringen, in seinen Körper zu dringen, darin spazieren zu gehen, die Wärme des Blutes zu spüren, es pulsen zu sehen, wie am Ufer eines Flusses zu stehen und zu schauen, wie Blut fließt, wie Blut rauscht, träge und dunkelrot wie Barbera das eine, spritzig wie Lambrusco das andere. Und weiterwandern, in Hirnwindungen herumklettern, seinen Hypothalamus aufsuchen, den Satz abrufen, den einzigen Satz, der gilt. Den Satz- si me amas. Ihn abrufen, ihn springen sehen, von Synapse zu Synapse, seine Zeit abschätzen, bis er ankommt- Sekunden sind viel zu langsam-, gierig warten, bis er aufgesaugt werden kann, dieser Satz, ihn mitnehmen, ihn durch den Einstieg hinausschleusen und ihn mit sich schleppen in einem Sack auf dem Rücken.- Und Kilometer wieder zu Kilometer werden lassen, Null zu achtzig machen, wieder am anderen Ort sein, jetzt anders hindurchgehen als zuvor, den Satz auf ein Transparent schreiben, ihn entgegenschleudern allen, die ihn hören wollen oder auch nicht.
Ihn den Häusern, den Autos, Straßen entgegenhalten wie einen Abwehrzauber. Und dann immun sein gegen brüchige Wattemäntel, gegen hautlose Zeiten und glauben, dass der Boden jetzt trägt und die Luft reicht für immer.
Das alles wünschen und zugleich wissen, dass es nichts ist als eine Fata Morgana, dass es nicht mehr sein kann als das. Dass es Timetunnel nicht gibt, Kilometer nicht schrumpfen, dass es nichts gibt, damit Häuser und Autos und Straßen nicht schmerzen. Dass die Zahl der Zuckerstücke auf immer unbekannt bleiben wird, dass man Sätze nie abrufen wird wie diesen- wenn du mich liebst- gefunden auf einer alten Bronzefibel, dem Staub der Jahrhunderte entrissen, für den Bruchteil von Ewigkeiten gelebt.- Dass es überhaupt nichts gibt als Zeit, viel Zeit, die wohldosiert zwischen nie genannte Zuckerstücke und hängengebliebene Transparente zu schieben ist. So lange, bis kein Platz mehr ist für schmerzende Straßen und Autos und Häuser, bis alles prall und voll ist mit zugestopfter Zeit, alle Nahtstellen und überwuchert, von Moos überwuchert eines Tages. - Und schließlich und endlich glauben machen, es habe nie einen Morgen gegeben.- Einen Morgen danach."
-Ingeborg Bayer-
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